Lessings „Nathan der Weise“ am Kölner Schauspiel

Besuch einer Aufführung durch die Q2 der GE Marienheide

Kein wirklicher Catcher auf den ersten Blick, dieser „Nathan der Weise“: Ein jüdischer Kaufmann in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge. Ein orientierungsloser Tempelherr, der sich ahnungslos in seine Schwester verliebt. Ein mächtiger Sultan, der seine marode Staatskasse auffüllen muss und versucht, den Juden auszutricksen. Das Ganze ursprünglich als Lesestück konzipiert und in ziemlich altertümlichem Deutsch verfasst. Schwere Kost also für Jugendliche des 21. Jahrhunderts. Was soll das mit uns zu tun haben?

Da trifft es sich gut, dass das Kölner Schauspiel den Klassiker „Nathan der Weise“ seit ca. einem Jahr auf der Bühne wieder einmal zum Leben erweckt und der Stufe 13 der Gesamtschule Marienheide am 18. Oktober in einer Aufführung für Schulen die Gelegenheit gab, die schulische Pflichtlektüre auf ihre Gegenwartstauglichkeit zu prüfen.

In einer von Handygeräuschen und anderen Ablenkungen erstaunlich wenig unterbrochenen Vorstellung erlebten die Schülerinnen und Schüler, dass eine moderne Inszenierung wie diese die zentralen Fragen des Stückes nach Toleranz und humanem menschlichen Handeln nicht nur verstehbar macht, sondern die im Stück proklamierte Utopie einer Menschheitsfamilie auch als solche in Frage stellt. Hat der Patriarch Recht, wenn er (in einem nicht aus Lessings Feder stammenden) Monolog zu beweisen versucht, dass sich jeder nur selbst der Nächste ist, wenn es keinen strafenden Gott mehr gibt? Ist der schwache Tempelherr, der wie ein Objekt immer über die Bühne getragen werden muss, nicht ein Exempel für den Soldaten, der in allen Epochen von den Mächtigen ausgenutzt und innerlich zerstört wird und irgendwann nur noch kämpft um des Kampfes Willen? Der Engel, den die Inszenierung als zusätzliche Rolle in das Stück hineingeschrieben hat, ist auf jeden Fall schon ziemlich alt und abgenutzt durch seinen aussichtslosen Kampf auf Erden.

Die Besprechung der Inszenierung in den Deutschkursen später zeigte, dass das Stück, seine Wirkung auch bei heutigen Jugendlichen entfalten kann und Fragen aufwirft, die ernsthaft und kontrovers diskutiert wurden. Vor allem die Gebrochenheit der Charaktere, nicht zuletzt des Nathan, der in seinen menschlichen Schwächen gar nicht mehr der souveräne Übermensch ist, erreichte die Marienheider Schülerinnen und Schüler in ihrer eigenen Lebensrealität. Wie es im „Nathan“ heißt: „Doch was man ist, und was man sein muss in der Welt, das passt ja wohl nicht immer“.