Ein Bettelexperiment

Am Donnerstag, den 26. Juni 2014, wagten die Schülerinnen und Schüler des SoWi- Lks der Stufe 12 ein mutiges Experiment in der Kölner Innenstadt.
Auswertung des Experiments
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Mit dem Hintergrundwissen des in diesem Halbjahr im Unterricht behandelten Themas “soziale Ungleichheit in Deutschland” gaben sich drei Schüler verkleidet und mit gebastelten Schildern für zwei Stunden freiwillig als Bedürftige aus, so dass selbst Mitschüler diese nicht mehr erkannten. Sprüche wie “Heute ich, Morgen du!”, “18 und arbeitslos” und “Schwanger und obdachlos!” sollten die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich ziehen. Nachdem wir uns im Unterricht mit der Soziologie des Bettelns und den in Deutschland gültigen Regeln und Gesetzen vertraut gemacht haben, ging es los. Jedem der drei “Bettler” wurde ein “Wächter” und ein “Beobachter” zur Seite gestellt, welche sich unauffällig unter die Passanten mischten. Der Kurs stellte im voraus die These auf, dass die “Schwangere, obdachlose” am meisten Geld bekommt und die meisten Spender aus der “unteren Mittelschicht” stammen würden.

Das erste Problem ergab sich bei der Platzwahl. Obwohl die vorher recherchierten Thesen der Ortswahl eines Bettlers berücksichtigt wurden, stellten sich einige Stellen als ungeeignet heraus. Versuchsperson 1 (Lukas) saß schließlich auf der Domplatte an einem Mülleimer. Der zweite Schüler (Sebastian) platzierte sich an einer engen Stelle der Fußgängerzone an einer Baustelle. Dort waren die Passanten gezwungen ihn zu beachten. Die dritte Versuchsperson (Jil) saß, nachdem sie ihre Position von der Domplatte gewechselt hatte, an einem Pfeiler neben einem Geschäftseingang.
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Schon nach wenigen Minuten wurde den dreien klar, dass das Leben als Bettler nicht einfach ist. Der Boden war hart und kalt, Passanten ignorierten einen und gaben abwertende Kommentare von sich. “Mit 18 arbeitslos, selbst Schuld.” und “Der lügt doch eh.” waren häufige Sprüche. Ebenso konnte man beobachten, dass eine Gruppe Jugendlicher sich vor Schüler zwei stellte, Fotos machte und ihn laut auslachte. “Obwohl ich wusste, dass die ganze Situation nur gespielt war, schämte ich mich phasenweise.” So beschrieb Schüler zwei seine Gefühle während dieser Zeit. Kinder, die den Jungs helfen wollten, wurden von ihren Eltern angeschrien und ja weit weg geholt von ihnen.
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Auffällig war, dass vor allem männliche Jugendliche in Gruppen abwertend reagierten und die Mädchen eher Mitleid zeigten. Genauso reagierten ältere Leute mit Mitgefühl, während Passanten zwischen 20 und 50 kaum Aufmerksamkeit zeigten. Diese rannten die Bedürftigen eher um als auf die Seite zu gehen. Auch Fahrzeuge gaben keine acht. Schüler eins, der an einem Mülleimer saß, bekam am meisten positive Aufmerksamkeit. Eine Sozialarbeiterin außerhalb des Dienstes gab ihm ein belegtes Brötchen und der Müllmann, der den Mülleimer leerte, gab ihm etwas Kleingeld und eine Pfandflasche.
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Am Mittag zogen wir durch Köln, um uns mit einigen Bedürftigen, die uns während des Tages aufgefallen sind, zu unterhalten. Die Gespräche sind auf der Homepage zu finden und haben uns sehr beeindruckt. Unsere “Einnahmen” waren eher gering: Lukas bekam knapp 9 Euro und einige Sachspenden, Jil bekam etwas über 5 Euro und Sebastian nur 1,50 Euro. Das Geld spendet der Kurs an andere Bedürftige.

Alles in allem kann man sagen, dass dies ein gelungenes Experiment war. Man geht mit offeneren Augen durch die Straße als vorher und wir kamen mit Menschen in Kontakt, mit denen wir sonst wahrscheinlich nicht geredet hätten. Unsere Thesen konnten allerdings nur zum Teil bestätigt werden. Anders als zunächst vermutet, bekam nicht die “Schwangere, Obdachlose” am meisten Geld. Interessant wäre, zu überprüfen, ob die Einnahmen eher mit der Platzwahl oder mit der Legende in Verbindung stehen. Dass die meisten Spender eher aus der “Mittelschicht” stammen kann man sagen, da die äußerlich so scheinende “Oberschicht” sich nicht für die Hilfebedürftigen interessiert hat.
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Lasse:
“Es war ein spannendes Erlebnis und die Reaktionen der Passanten waren für mich schockierend”.

Festina:
“Das Experiment hat meine Sichtweise auf Bettler komplett verändert. Ich hätte nicht gedacht, dass die Reaktionen der Passanten so extrem sind.”

Katharina:
“Ich habe festgestellt, dass es auch einige Bettler gab, die kein Deutsch verstanden haben. Vielleicht wissen die gar nicht, wie der Staat sie unterstützen kann? Es war sehr auffällig, dass vor allem Jugendliche sehr abweisend und abwertend auf Bettler reagiert haben.”

Ayfer:
“Nach diesem Experiment sehe ich Bettler mit anderen Augen und außerdem war ich überrascht, dass ältere Menschen mehr spenden als Jugendliche. Außerdem war ich überrascht über mich selbst: Ich habe mit sehr vielen Passanten gesprochen, normalerweise traue ich mich nicht, einfach so fremde Menschen anzusprechen.”

Michelle:
“Da ich Bettler nun mit anderen Augen sehe, werde ich in Zukunft vielleicht nicht mehr so genervt auf sie reagieren.”

Florian:
“Die Reaktionen der Passanten habe ich auch so erwartet. Durch das Experiment kann ich die Situation der Bettler besser verstehen.”

Andreas:
“Das Experiment hat mir gezeigt, dass es zwar viele Passanten gibt, die sich die Obdachlosen angucken und sich vielleicht im ersten Moment auch Gedanken über diese machen, sich aber eigentlich nicht für sie interessieren und weiter gehen. Es gab aber auch Passanten, die versuchten, den Bettlern zu helfen und sogar Tipps verteilten.”

Michelle Bolewski und Katharina Miebach für den SoWi-LK